Es gibt Leute, da ist man froh, wenn man sie nicht sieht. Man kennt sie und ahnt schon, dass sie einen nerven. Oder einen übers Ohr hauen. Mein Namensvetter von früher – er hieß Matthäus wie ich auch – der war so einer:
Saß am Stadttor und kontrollierte die Leute, kassierte den Zoll. Regelmäßig nahm er ihnen zuviel Geld ab: ›3 Silbergroschen für deine Warenladung.‹ ›Aber letztes Mal hast du dafür nur zwei genommen!‹ ›3 Silbergroschen, sonst kommst du hier nicht durch!‹ ›Verdammter Halsabschneider!‹ So einer war Matthäus.
Vielleicht war er anders, wenn er nicht im Zollhaus war. Wenn er alleine zu Hause saß. Allein war er oft. Wer setzt sich mit so jemandem zusammen? ›Ich bin es so leid, dieses Zollhaus. Keiner guckt mich mehr an. Aber was solls? Ich habe mein gutes Auskommen. So ist das eben bei uns Zöllnern. Ändern kann ich ja doch nichts.‹
Und dann saß er wieder im Zollhaus. Die Leute kamen vorbei. ›Halt, was habt ihr zu verzollen?‹ Er kontrollierte die Waren und nahm das Geld. Zuviel, immer zuviel. Ach, ein Wanderprediger kommt auch noch mit seinen Anhängern. ›Halt, was habt ihr zu verzollen?‹ Und er hört: ›Matthäus! Willst du ewig in diesem Zollhaus sitzen? Komm und gehe mit mir! Es gibt doch so viel mehr im Leben.‹
Unglaublich. So etwas hatte er noch nie gehört. Und er ist mitgegangen, der Matthäus.
Und ich, heute? Es gibt noch so viel mehr im Leben. Ob ich mitgegangen wäre?

Jochem Westhof